Skifahren orientiert sich ja wie jede andere progressive Sportart (= Sportart, die sich ständig weiterentwickelt) immer sehr stark an der Jugend bzw. an jungen Sportlern. Und was machen die? Kaufen sich TwinTips und fahren durch Park & Pipe. Kann man in 5 Jahren wohl noch moderne Skischule ohne Freeski-Elemente anbieten? Wohl kaum. Zurecht. Schließlich sollte der Skisport nicht da stehenbleiben, wo der ERGO einst eine Revolution in Gang gesetzt hat. Warum ist das so?
Die 90er und 2000er hindurch haben Kinder und Erwachsene in Skischulen den Carving-Schwung gelernt. Das hat zunächst mal das Skifahren für viele Einsteiger erleichtert und zudem sehr viel variantenreicher gemacht. Gleichzeitig hat es aber auch enorm eingeschränkt, weil fast jeder Skilehrplan vom "sauberen Carvingschwung" auf der "breiten, perfekt präparierten Piste" sprach und somit den Skisport extrem kanalisierte. In jedem Reiseführer wurde man überschüttet mit Gütesiegeln hinsichtlich "Pistenpräparation" oder "breiter Carvingpisten" und Skigebieten, die dies nicht boten, wurde weniger Aufmerksamkeit zuteil. Trotzdem waren die Skilehrer fast ausnahmslos nach wie vor diejenigen, die mit Pommeslatten aufgewachsen waren und die Umstellung auf die Carving-Technik eher als Anpassung an neue Gegebenheiten, keinesfalls aber als komplett neue Denkweise. Skilehrpläne sprachen zwar von der Revolution der Carvingtechnik und die Methodik hatte sich radikal geändert, man hatte jedoch immer noch das Gefühl, als gäbe der typische Skilehrerschwung das Bild vor, was sich den Skischülern bitteschön einzubrennen habe.
Früher sah das eben so aus
http://www.abload.de/img/schi-lehrplanbjpo.jpg
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In den letzten 15 Jahren so
http://www.abload.de/img/6_1hvv2.jpg
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Was in beiden Fällen ins Auge sticht: die Uniformiertheit. Nicht die modische, sondern das Konzept, zwanghaft eine Art idealisierten und einzig gültigen Stil zu präsentieren. Damit mich niemand hier falsch versteht: natürlich ist es sinnvoll, in Skilehrplänen auch Leitbilder der Skitechnik einzusetzen und bei der Skilehrerausbildung einheitliche Richtlinien festzusetzen. Aber trotzdem sollte doch eines immer wieder klargestellt werden: die Skitechnik dient als Mittel zum Zweck. Im Vordergrund steht der Spaß bzw. das Erlebnis.
Und ausgerechnet der Spaß stand also beim Skiunterricht in den letzten Jahren nicht immer im Vordergrund. Sowieso - freies Skifahren, "freeskiing" also, war den Filmemachern, "Verrückten" und Heli-Skiing-Bonzen vorbehalten. So wurde der gemeine Alpentourist also jedes Jahr mit Warren Millers neuen Streifen pünktlich zu Saisonbeginn befriedigt und konnte dann auf den schönen breiten Carvingpisten wieder seine auswenig gelernte Schwungchoreographie fahren.
Die letzten 4-5 Jahren geben Anlass zur Hoffnung, dass es damit bald vorbei ist. Das Individuelle, was bei einer Natursportart wie dem Skifahren eigentlich das Sinngebende ist (gerade, weil man hier eben nicht auf einem 100x50m künstlich angelegten großen Feld mit 21 anderen Leuten eingepfercht ist und immer nur einem Ball hinterherrennt), steht wieder stärker im Vordergrund und immer mehr Skigebiete setzen auf einen bunten Mix aus Parks, unpräparierten Hängen und anderen natürlichen "Obstacles". Ebenso liegen Skier mit breitem Einsatzgebiet (All-Mountain, TwinTip) im Trend - reinrassige Slalomcarver, die neben ihrer Fähigkeit, bei einem Radius von 11,6m exakte Kurven den Berg hinunterzusteuern lediglich noch die Funktion der Gondeldekoration erfüllen, verkaufen sich schlecht. Zusammen mit neuen Skischul-Konzepten (ich nehme als Beispiel mal die Freestyle Academy in Laax) kann man wohl von einer neuen richtungsweisenden Entwicklung im Skisport sprechen. Weg vom uniformierten Carving-Exzess hin zu freieren Formen der Skitechnik, die die Carving-Technik als Grundvoraussetzung längst als gegeben hinnehmen und darauf aufbauend dem Skischüler bzw. generell dem Skifahrer nicht eine Technik beibringen wollen, sondern ein Verständnis hinsichtlich der Beziehung Mensch-Berg und der Frage: wie hole ich den maximalen Genuss/Spaß/Kick/Adrenalinrausch aus der Höhendifferenz, die zwischen meinem Startort und meinem Zielort liegt.
Hier mal ein Video aus Aspen, was verdeutlicht, woran sich Skiunterricht in Zukunft auch orientieren sollte: http://media.nscdn.com/uploads/member/v ... 9_0001.mp4
Die Gefahr dabei ist natürlich, dass das, was sich zur Zeit "newschool" nennt, auch nur eine von Wenigen vorgegebene und von Vielen krampfhaft zu kopieren versuchte Art des Skifahrens ist. Wenn man sich die von Kopf bis Fuß mit Sponsoren eingedeckten Teenager anguckt, die einem in ihrem Freestyle-Film, der schlichtweg aus möglichst rekordverdächtigen Tricks in sämtlich künstlich angelegten Parks besteht, davon erzählen, dass jeder "sein eigenes Ding" durchziehen sollte und nach dem hundersten Superman-Frontflip immer wieder von Individualismus faseln, bekommt man berechtigterweise seine Zweifel.
Ich hab in den letzten Monaten viel über dieses Thema nachgedacht und hoffe mal, dass sich ein kritischer Blick auf die letzten Jahre des vermeintlichen Fortschritts nicht nur bei den Skilehrern durchsetzt (das dürfte schlichtweg eine Frage der Zeit sein, denn immer mehr "Carving-Natives" werden jetzt Skilehrer und haben aufgrund ihres intuitiven Umgangs mit der Carvingtechnik Zeit, sich neuen Fragen und Entwicklungen zuzuwenden), sondern auch bei den Skigebiets-Betreibern. Es geht nicht darum, das hunderste 20m-Table in die Landschaft zu setzen, sondern darum, darüber nachzudenken, ob die Einteilung eines Skigebietes in "blau-rot-schwarz-freestyle" noch zeitgemäß ist.
Ich hoffe mal, meine Gedanken waren nicht zu verwirrend und bieten den Anlass für eine interessante Diskussion. Noch kurz zu meiner Person: ich bin 22, Skilehrer, habe im Alter von etwa 10 Jahren den Wechsel von Pommeslatten auf Carvingski erlebt und habe vor jedem Kicker, der länger als 10m ist, momentan noch ziemlich Schiss.

In diesem Sinne...