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von reinhard_wien » 03.03.2013 13:02
So wie die Fahrtechnik oder die Geländebeobachtung (Schneemugel, Eisplatten) gehört auch die Orientierung und Richtungs- und Geschwindigkeitswahl in Bezug auf andere Skifahrer zum skifahren. Im Straßenverkehr funktioniert das hauptsächlich deswegen halbwegs gut, weil die meisten Menschen das Fahren so verinnerlicht haben, daß sie fast keine Aufmerksamkeit fürs Fahren an sich oder die Straßenbeschaffenheit brauchen, sondern sich voll auf die anderen Verkehrsteilnehmer konzentrieren können. Beim Skifahren sind halt wesentlich mehr "Fahranfänger" unterwegs, die voll mit sich selbst und dem Berg oder mit ihren Kollegen beschäftigt sind - das geht auch mir selbst nicht anders, wenn ich sehr schnell fahre oder die Piste sehr schlecht ist, daher tue ich das nur bei leerer Piste und warte dafür schon auch mal zehn Minuten vor einem entsprechenden Stück. Außerdem sind die Regeln nicht ganz so klar wie im Straßenverkehr und dort fährt man auch selten im Konvoi. Insbesondere unangenehm ist es - aus überholender Sicht - wenn man sich flott einer kleinen, sich gerade ausruhenden, sonst langsam fahrenden Gruppe nähert und keine Absicht hat, ihren Rastplatz zu übernehmen, den sie offenbar glauben, angesichts meiner Ankunft räumen zu müssen. Denn fast immer fahren die genau dann los, daß ich nicht mehr einfach an ihnen vorbeifahren kann, sondern sie entweder überholen oder abbremsen und hinter ihnen bleiben muß. Aber man kann dagegen nichts tun, weil sich der Vorrang laut den Pistenregeln plötzlich zu ihren Gunsten umdreht, sobald sie sich bewegen. Umgekehrt kann man natürlich nur selber die "fahrender hat Vorrang gegenüber stehendem"-Regel weit auslegen und eben den Hang über einem genau beobachten.
Als "lästig" empfinde ich es auch, wenn Leute auf flachen, engen Trassen ohne Not Schwünge machen. Ich bin dann hauptsächlich damit beschäftigt, ihren Rhythmus zu studieren und dadurch zu entscheiden, ob ich links oder rechts vorbeifahre. Glücklicher Weise habe ich damit mittlerweile schon eine ganz gute Übung, aber am Anfang war das gar nicht so leicht, die Frequenzen der anderen unterscheiden sich, die Geschwindigkeitsdifferenz ist ebenfalls unterschiedlich. In letzter Zeit unterstütze ich den Überholvorgang indem ich beide Stöcke aneinanderschlage, damit mich die Leute wenigstens hören, wenn ich neben sie komme. Ein wenig habe ich überhaupt den Eindruck, daß seit der Verbreitung der Helme die akustische Wahrnehmung der Skifahrer beeinträchtigt worden ist.
Nun zur Situation, daß jemand schneller fährt als ich: Vor allem spitze ich meine Ohren, schaue ab und an vor Schwüngen nach oben und zur Seite, ich weiß meist, wie viele Leute vor mir, hinter mir, neben mir fahren und ob sie langsamer oder schneller sind, so daß ich diesbezüglich kaum Überraschungen erlebe. Im Gedränge fahre ich dann auch möglichst Kurzschwünge und mache meinen der Fallline folgenden Korridor so eng wie möglich. Um ihn zu verlassen, schaue ich mich auf jeden Fall vorher um.
Eine interessante psychologische Beobachtung, die ich gemacht habe, ist daß es vom Gefühl her einen großen Unterschied macht, ob man eine Abfahrt alleine oder zusammen mit einem oder mehreren anderen macht. Mir geht es jedenfalls so, daß ich, wenn ich alleine fahre, merke, daß mir plötzlich viel mehr Aufmerksamkeit zur Verfügung steht und die ich dem eigenen Skifahren und dem Verkehr widmen kann, die ich sonst offenbar auf den Mitfahrer richte, auch während der Fahrt und egal ob er vor oder hinter mir unterwegs ist. Jedenfalls ändert sich mein Skifahrerlebnis, wenn ich weiß, daß ich niemanden speziellen habe, auf den ich aufpassen muß und niemanden, der (speziell) auf mich aufpaßt. Nicht zuletzt dadurch, daß die Unterbrechungen wegen "Warten auf den anderen", oder "der andere wartet auf mich" wegfallen, bin ich tendenziell dann etwas schneller unterwegs, obwohl ich dann auch vorsichtiger und umsichtiger fahren kann, eben weil ich meine volle Aufmerksamkeit zur Verfügung habe. Den Ablenkungseffekt stelle ich nicht nur fest, wenn ich mit weniger erfahrenen Kollegen unterwegs bin, sondern auch wenn sie besser fahren als ich, weil ich mich natürlich auch dann besonders darauf konzentriere, wie sie fahren, das geht also in beide Richtungen.
Insofern würde ich dem Originalposter vorschlagen, mal zu versuchen, alleine zu fahren. Zwar ist man sich dann der Eigenverantwortung bewußter als in einer Gruppe, was eventuell ein wenig verunsichern kann, wenn man es nicht gewohnt ist, aber man hat meiner Erfahrung nach mehr Umsicht, mehr Aufmerksamkeit für sich selber, die Ski, das Gelände und die anderen Skifahrer und man fährt mit einem größeren Gefühl der Freiheit, das durchaus positiv auf das Selbstbewußtsein rückwirken kann. Ich habe das mit einem Freund mal ausprobiert, der noch nicht gar so viel skigefahren ist und er war ganz erstaunt, wie stark dieser psychologische Effekt des unbeobachteten Alleinfahrens ist.