Betrachten wir doch einmal die Fakten: bei 130 km/h legst du in der Reaktionssekunde 36 Meter zurück, bei 150 km/h 41 Meter - also fünf Meter ungebremste Fahrt mehr. Haust du dann die Vollbremsung rein und verzögerst mit ca. -8m/s², bist du bei Tempo 130 nach eindreiviertel Sekunden herunter auf Tempo 80 und brauchst dafür ca. 50 Meter (1,74s bei durchschnittlich 105 km/h, dem Mittelwert zwischen 130 und 80), bei Tempo 150 brauchst du dafür 2,4 Sekunden und 75 (!) Meter. Du brauchst bei Tempo 150 also 30 Meter mehr (116 statt 86, also ein Drittel mehr!), um hinter der ausscherenden Oma auf deren Tempo herunterzubremsen, müsstest also über eine Sekunde früher reagieren. Schaffst du das nicht, knallst du ihr mit knapp 100 km/h hintenrein (18 km/h Tempodifferenz).TOM_NRW hat geschrieben:Nehmen wir einmal folgendes Beispiel:
...
Nun werde ich in einen Unfall auf der linken Spur verwickelt. Eine 80jährige Frau, Fahrleistung 2.000 Km per anno, ist mit Tempo 80, ohne zu blinken auf die linke Spur gezogen, um ein anderes Auto auf die Autobahn zu lassen, obwohl die Auffahrt erst in mehreren hundert Meter beginnt. Leider konnte ich nicht mehr bremsen und pralle auf das Heck des Kleinwagens, der anschließend in die Leitplanke fährt.
Warum bekomme ich nun ohne jede weitere Betrachtung der Fakten eine Mitschuld nur weil ich mit 150 Km/h und somit schneller als die Richtgeschwindigkeit von 130 Km/h unterwegs war. Ich betone nochmals "linke Spur, keine Geschwindigkeitsbegrenzung, freie Sicht, Fahrfehler des Unfallverursachers, keine Möglichkeit anders zu reagieren ...".
Die Richtgeschwindigkeit ist vom Gesetzgeber empfohlen - das bedeutet: wer die Empfehlung überschreitet, tut dies auf eigenes Risiko in dem Sinne, dass ein durch das eigene Risikoverhalten entstandener und ansonsten vermeidbarer Schaden selbst getragen werden muss. Wenn also (gutachterlich) festgestellt wird, dass es genau wegen der zusätzlich erforderlichen 30 Meter gekracht hat, dann musst du selbst einen Anteil tragen, weil der Unfall bei "Idealverhalten", also Einhaltung der empfohlenen 130 km/h vermeidbar gewesen wäre - aber nur dann.
Dies und nichts anderes hat z.B. das OLG Nürnberg 2010 entschieden: "Die Nichteinhaltung der Richtgeschwindigkeit war vorliegend unfallursächlich. Der vorliegende Fall liefert geradezu ein Schulbeispiel dafür, wie massiv sich die Gefahr eines Unfalls durch die Missachtung der Richtgeschwindigkeit erhöht. Weil die Beklagte zu 1) mit einer Geschwindigkeit von mindestens 160 km/h gefahren ist, genügte nicht einmal mehr eine Vollbremsung, um den trotz dieser Bremsung noch mit erheblicher Wucht erfolgenden Zusammenprall (etwa 43 km/h Differenzgeschwindigkeit) zu verhindern. Wäre die Beklagte zu 1) dagegen mit 130 km/h gefahren, hätte sie die Kollision mühelos vermeiden können."
Wenn du aber ein Gerichtsurteil weißt, wo "ohne Betrachtung der Fakten" so geurteilt wurde - bitte her mit der Fundstelle. Wird aber vermutlich schwierig werden, da der BGH allerdings schon 1992 den Gerichten vorgeschrieben hat festzustellen, "ob es zu dem Unfall mit vergleichbar schwerwiegenden Folgen auch gekommen wäre, wenn der Erstbeklagte die Richtgeschwindigkeit von 130 km/h eingehalten hätte. Verbleibt es danach bei einer Haftung der Beklagten, so hat das Berufungsgericht eine erneute Abwägung der Verursachungsbeiträge vorzunehmen. Im Rahmen dieser Abwägung erweist sich, wovon das Berufungsgericht auch ausgeht, die Fahrgeschwindigkeit des Erstbeklagten als wichtiger Faktor."
Noch ein wichtiger Satz aus diesem BGH-Urteil: "Das Fehlen unmittelbarer Sanktionen (hier: in der Autobahn-Richtgeschwindigkeitsverordnung) bedeutet indes nicht absolute rechtliche Irrelevanz auch für das Haftungsrecht."